Patientengeschichten
«Ohne Transplantation würde ich heute nicht mehr leben»
Von einem Tag auf den anderen wurde Elins Leben auf den Kopf gestellt. Auf die Diagnose Leukämie folgten Chemotherapien, eine Blutstammzellspende und schliesslich eine schwere umgekehrte Abstossungsreaktion. Weshalb sie heute vieles gelassener sieht, hat Elin uns in einem persönlichen Gespräch erzählt.
Zunächst dachte Elin noch, sie hätte Long Covid. Nach einer recht schweren Corona-Erkrankung im November 2020 fühlte sie sich über längere Zeit antriebslos und erschöpft. Beim Aufstieg auf den Schlittelhügel, den sie mit ihrem damals 7-jährigen Sohn erklomm, hatte sie mit Kurzatmigkeit zu kämpfen. Um den Jahreswechsel herum kamen dann Hautinfekte dazu und sie war extrem müde. Noch immer machte sich Elin, die ursprünglich aus dem Ruhrgebiet stammt und heute in Zürich lebt, keine ernsthaften Sorgen. «Ich konnte ja noch alles machen, ich brauchte einfach mehr Pausen», erinnert sie sich.
Die Welt steht Kopf
Mehr aus Pflichtgefühl denn aus Angst vereinbarte sie im Februar einen Termin beim Hausarzt. Wie böse Vorboten begleiteten sie auf dem Weg zur Praxis Schwindel und starke Kopfschmerzen, das Blut hämmerte in ihren Ohren. Und tatsächlich: Bereits am Nachmittag desselben Tages erhielt sie einen Anruf von ihrem Hausarzt. Elin, die selber Ärztin ist, konnte die Zeichen deuten: «Als ich meine Blutwerte sah, wusste ich, dass es etwas Schlimmes war».
Dann ging alles Schlag auf Schlag: Am nächsten Tag wurde bei ihr eine Knochenmarkpunktion durchgeführt und am Montag wurde sie vom Unispital Zürich für die Chemo aufgeboten, um ihre Akute Myeloische Leukämie zu behandeln. Es blieb gerade noch Zeit, die Betreuung ihres Sohnes durch die Familie zu organisieren. «Zu wissen, dass mein Sohn in guten Händen ist, war für mich extrem wichtig, denn so konnte ich mich ganz auf meine Genesung konzentrieren.»
Durchhalten für den Sohn
Aber die schlechten Nachrichten rissen nicht ab. Bald sei klar gewesen, dass sie eine Blutstammzelltransplantation brauchen wird. Eine Chemotherapie allein würde den Krebs nicht besiegen können. Ausserdem stellte sich nach der ersten Chemotherapie heraus, dass die Behandlung nicht angeschlagen hatte.
«Da hatte ich das erste Mal wirklich Angst. Angst, dass ich da nicht lebend rauskommen und es nicht bis zur Transplantation schaffen werde», erinnert sich Elin.
Dennoch wurde sie von einer inneren Ruhe und Zuversicht getragen, dass alles gut kommt – trotz schlechter Prognosen. «Natürlich war ich machtlos, aber ich wusste eine Sache mit einer felsenfesten Bestimmtheit: Ich will so lange wie möglich leben und meinen Sohn beim Grosswerden begleiten. Und ich habe noch so viele Träume, Pläne und Ideen». So habe sie bewusst nicht darüber nachgedacht, was alles schiefgehen könnte und ihr ganzes Vertrauen in das Ärzte- und Pflegeteam gesetzt.
«Wie schlimm diese Zeit war und wie schlecht es mir tatsächlich ging, wird mir erst jetzt, mit etwas Abstand, so richtig bewusst», erzählt Elin. Damals hätte sie einfach funktioniert. Damals ging es ums Überleben.
Die Suche nach einer passenden Blutstammzellspende
Leider kam Elins Bruder nicht als Spender infrage, da seine HLA-Merkmale nicht mit ihren übereinstimmten. Also musste die Suche nach einer passenden Spende auf das internationale Register ausgeweitet werden. Es wurden schnell sogar mehrere passende Spenderinnen und Spender gefunden, sodass Elins Ärztin den besten Match aussuchen konnte. Das ist ein sehr grosses Glück, denn leider findet sich für jede vierte Patientin / jeden vierten Patienten in der Schweiz immer noch keine passende Spende.
«Ich bin einfach nur dankbar, dass es Menschen gibt, die sich für eine Spende eintragen. Denn ohne Transplantation wäre ich jetzt mit ziemlich grosser Wahrscheinlichkeit nicht mehr am Leben».
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Der Tag der Spende
Am 28. Mai 2021 wurde Elin transplantiert. Drei Monate nach ihrer Diagnose. Beim Gedanken an die ganze Zeit atmet sie tief ein und sagt: «Das möchte ich nie mehr erleben. Die Vorbereitung auf die Transplantation mit der Chemotherapie und all den Medikamenten war extrem belastend für den Körper.» Und auch die Isolation, verstärkt durch die Corona-Pandemie, zehrte an ihr. «Mehrere Monate war ich so viel alleine im Spital. Eine Stunde pro Tag war Besuch von meinem Sohn und meiner Mutter möglich; das waren Lichtblicke.»
Auch nach den Spitalaufenthalten konnte Elin Besuch nur sehr spärlich empfangen, da das neue Immunsystem Zeit brauchte, um zu funktionieren, und die Gefahr für schwere Infektionen einfach so gross war. Gerade in einer so schwierigen Zeit ist Einsamkeit kein guter Begleiter. Aber sie hat es überstanden.
Zwei Wochen nach der Transplantation kam es zu einer akuten und schweren umgekehrten Abstossungsreaktion, bei der sich die neuen Blutzellen des Spenders gegen den als «fremd» erkannten Körper richten.
Elin erzählt eindrücklich: «Das hat mich noch einmal enorm zurückgeworfen. Es ist schwer zu beschreiben, aber damals konnte ich keine Freude mehr spüren. Nichts ging mehr. Wirklich nichts.» Nicht einmal Musik mochte sie hören, so übermannend sei die physische und psychische Erschöpfung gewesen.
Nach erfolgreicher Behandlung musste sie sich den Weg zurück in den Alltag mit kleinen Schritten erkämpfen. Zu Beginn schaffte sie den Spaziergang bis zur nächsten Strassenecke nur in Begleitung, nach dem Duschen musste sie wieder ins Bett, um sich von der Anstrengung zu erholen.
Was hat geholfen? «Ich wusste, dass immer jemand da ist für mich, dass ich nicht alleine bin auf dieser Welt.»
Und heute?
Heute ist Elin wieder gesund. Es hat eine Weile gedauert, dann hat ihr Körper das neue Immunsystem vollständig angenommen. Der Krebs ist nicht mehr nachweisbar. «Ich habe jetzt männliche Blutzellen. Die tun einen guten Job», verrät sie und meint, sie sei wenig krank. Ein gutes Immunsystem also, das sie vom Spender erhalten hat.
«Die Krankheit hat mich natürlich schon geprägt, dieses ganze Erlebnis, so knapp mit dem Leben davonzukommen. Aber ich habe gelernt, diese Erfahrung positiv für mich zu nutzen.»
Sie sagt von sich selber, dass sie heute viel gelassener sei als früher: «Was nicht geht, geht halt nicht». Und sie setzt ihre Träume in die Tat um, begann mit Tango tanzen und steigt wieder auf das Surfbrett.