Blutstammzellspenderinnen und -spender erzählen
Der Kreis schliesst sich
Cristina Orfanidis war 13 Jahre alt, als der beste Freund ihres Bruders den Kampf gegen Leukämie verloren hatte. Im vergangenen Sommer hat die heute 27-jährige Ostschweizerin für eine schwer kranke Person Blutstammzellen gespendet.
Was wäre, wenn ich selbst an Leukämie erkranken würde und auf eine Blutstammzellspende angewiesen wäre? Mit dieser Frage hat sich Cristina Orfanidis in den vergangenen Wochen und Monaten oft befasst. Besonders intensiv war die Auseinandersetzung in den Tagen unmittelbar vor und nach ihrer Spende. «Ich habe versucht, mich in die Rolle der kranken Person zu versetzen, und wollte herausfinden, was ich einem mir unbekannten Menschen gegenüber empfinden würde, der mir mit seiner Blutstammzellspende das Leben retten würde. Während dieses hypothetischen Gedankenspiels entwickelte sich bei mir immer wieder ein sehr starkes Gefühl der Dankbarkeit.»
Die Erfahrung, was es bedeutet, wenn eine Blutstammzellspende zur letzten Hoffnung auf ein Weiterleben wird, war für Cristina Orfanidis nicht neu. Als Mittelstufenschülerin erlebte sie mit, wie der beste Freund ihres Bruders an Leukämie erkrankte und trotz einer Blutstammzellspende starb.
Der unerwartete Anruf
Nach dem Abschluss der Kantonsschule startete Cristina Orfanidis im September 2016 ein Studium an der Universität St. Gallen und liess sich dort gleich am ersten Tag als Blutstammzellspenderin registrieren. «Zu Semesterbeginn sind jeweils verschiedene Infostände an der Uni. Dort war auch einer, wo man sich als Blutstammzellspenderinnen und Blutstammzellspender registrieren konnte. Für mich war schon lange klar, dass ich das einmal tun würde», erinnert sich Cristina. Sie sei sich bewusst gewesen, dass die Wahrscheinlichkeit, als Spenderin ausgewählt zu werden, äusserst gering ist.
Acht Jahre später trat das Unerwartete trotzdem ein: Ende Juni 2024 wurde sie telefonisch von einer Mitarbeiterin von Blutspende SRK Schweiz kontaktiert. «Der Anruf kam für mich sehr überraschend und, ehrlich gesagt, auch zu einem ungünstigen Zeitpunkt», sagt Cristina, die als Oberstufenlehrerin kurz vor der Zeugnisabgabe stand. Diese Phase ist für eine Lehrperson jeweils sehr zeitintensiv. Sie nahm sich eine Woche Zeit zum Überlegen und tauschte sich auch mit ihrem ehemaligen Mentor aus, der sie während des Berufseinstiegs begleitet hatte. Wer wäre ein geeigneterer Gesprächspartner gewesen als er, der als Leukämiepatient vor drei Jahren selbst Blutstammzellen erhalten hatte? «Zum Glück geht’s ihm jetzt wieder sehr gut. In unserem Gespräch realisierte ich sofort, wie viel Hoffnung hinter einer solchen Spende steckt. Dieser Austausch war für mich deshalb sehr wichtig und hat mich in meiner Entscheidung gestärkt, spenden zu wollen.»
Prinzip der Anonymität
Als Cristina Orfanidis definitiv zugesagt hatte, war es ihr ganz wichtig, als Klassenlehrerin ihre Schüler zu informieren und zu involvieren. So thematisierte sie beispielsweise auch das in der Schweiz geltende Prinzip der Anonymität, das heisst, Spender und Empfänger dürfen sich nicht kennen. Die Ostschweizerin sagt, dass sie selbst dieses Prinzip verstehe, besonders dann, wenn der Patient nicht überlebt. Sie sagt: «Sonst macht man sich Vorwürfe, weil man denkt, die Spende sei nicht gut genug oder nicht ausreichend gewesen. Meine Schüler sehen das aber ganz anders. Sie begreifen, weshalb es dieses Prinzip gibt, finden aber, Spender und Empfänger müssten unbedingt die Möglichkeit erhalten, sich kennenzulernen.»
Die Person, für welche Cristina ihre Blutstammzellen gespendet hat, wird sie nicht kennenlernen. Aber sie hat sich ein Bild von ihr gemacht: «Ich habe das Gefühl, dass es ein Mann ist mit Familie, Mitte vierzig und dass er weit weg wohnt von mir.»
Cristina engagiert sich auch in ihrer Freizeit als Ausbildnerin. Seit vielen Jahren ist sie Trainerin für Geräteriege im lokalen Turnverein, wo sie im Moment eine ihrer Turnerinnen durch die Maturaarbeit begleitet. Die Kantonsschülerin hat sich dafür das Thema Blutstammzellspende ausgesucht. Auch der ehemalige Mentor von Cristina ist an der Maturaarbeit beteiligt . Der Kreis schliesst sich.